Von Marko Schlichting 14.06.2022, 03:31 Uhr

110 Tage sind seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine vergangen. Während die Menschen dort noch um ihr tägliches Überleben fürchten, schwindet das Interesse an diesem Land. Das ist normal, sagen Experten. Bei „Hart aber fair“ sprechen die Gäste unter anderem darüber, ob die Deutschen kriegsmüde sind. Es wird Sommer. Das Wetter ist gut, in dieser Woche steigen die Temperaturen in Teilen Deutschlands auf über dreißig Grad. Viele von uns fragen sich: Urlaub auf Mallorca oder doch lieber Baggersee? Diskutiert werden die hohen Preise für Sprit und Lebensmittel und was nachts auf dem Grill steht. Geburtstagsfeiern und Hochzeiten, die wegen der Corona-Pandemie verschoben werden mussten, werden ersetzt. Und was ist nochmal in der Ukraine passiert? Dort sterben Menschen. In den letzten drei Monaten waren es über zehntausend. Etwa eine Million Ukrainer wurden aus den von Russland besetzten Gebieten entführt, darunter 180.000 Kinder. Aber wenn in der Zeitung etwas über den Krieg in der Ukraine steht, springt die Welt schnell zum nächsten Artikel. Sie sehen sich keine Horrorbilder mehr im Fernsehen an. Wir haben gelernt, damit zu leben.

“Wir dürfen diesen Krieg nicht einfach vergessen”

Das sei völlig normal, sagt der Soziologe Armin Nassehi am Montagabend in der ARD-Sendung „Hart aber fair“. Er nannte die Situation “Ökonomie der Aufmerksamkeit” und erklärte: “Wiederholte Informationen haben immer weniger Informationswert.” Das gilt für alle Krisen, sei es der Ukraine-Krieg, die Coronavirus-Pandemie oder die Erderwärmung: „Unser Leben ist eher zyklisch auf das tägliche Leben ausgerichtet, daher ist es schwierig, sich mit Dingen zu befassen, die unser tägliches Leben eher indirekt als direkt betreffen.“ . Kurz gesagt, wenn uns etwas nicht direkt betrifft, nimmt das Interesse irgendwann ab. Assehi: „Irgendwann gewöhnen wir uns an schreckliche Bilder. Es ist nicht gut, aber man kann nichts dagegen tun.“ Die in der Ukraine geborene Wissenschaftlerin und Aktivistin Oleksandra Bienert stimmt zu. Das ist ihr auch schon passiert. Aber er sagt: “Wir dürfen diesen Krieg nicht vergessen.” Für sie ist klar: „Dieser Sommer wird ein Kriegssommer in Europa.“ Sicherheitsexpertin Claudia Major beschäftigt sich täglich mit dem Krieg in der Ukraine und sagt: „Man muss sich den düsteren Bildern mit detaillierter Distanz nähern, um damit umgehen zu können.“ Noch wichtiger ist, dass sich der Westen an den Krieg gewöhnen muss. Genau das strebt der russische Präsident Wladimir Putin an. “Russland geht davon aus, dass wir nicht bereit sind, die Kosten (für Krieg und Sanktionen) zu tragen, weil wir Frauen sind.” Auch SPD-Außenpolitiker Michael Müller sagte: „Wir dürfen uns nicht an diesen Krieg gewöhnen.“ Es ist daher Aufgabe von Politik und Medien, die Berichterstattung darüber hinaus zu tragen. Genau wie der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat er aber noch keine Unregelmäßigkeiten bei den Bürgern bemerkt. Röttgen sagt, dass seine Veranstaltungen, in denen er über den Krieg informiert, immer gut seien. Dennoch: „Wir haben die moralische Pflicht, gegen das Vergessen anzukämpfen.“ Das Schicksal Europas wird in der Ukraine entschieden. Wenn Putin den Krieg gewinnt, wird es ein anderes Europa sein.

“Möglicher Aufwärtstrend für die Kanzlerin”

Jetzt müsse endlich ein Kriegsziel klar definiert werden, fordert Claudia Major. „Wenn das Ziel darin besteht, dass die Ukraine als souveräner Staat überlebt, muss man es sagen. Und dann muss man die Schritte festlegen, um dorthin zu gelangen, finanziell, politisch und militärisch. Das ist eine führende Aufgabe. Und da ist die Kanzlerin, eine klare.“ „Der Aufwärtstrend ist noch möglich“, sagte Major, „die Ukrainer können sich nicht wehren, das muss man deutlich sagen. “Sie können der seltsamen russischen Feuerkraft kaum widerstehen.” “Die Frage ist zwischen Krieg und Frieden”, kritisierte Röttgen die Kommunikation von Bundeskanzler Scholz. Er musste endlich sagen, was er wollte. “Politische Führung ist in solchen Extremsituationen unerlässlich.” Auch Müller stimmt zu: „Die Kommunikation kann und muss verbessert werden.“ Der SPD-Mann protestiert allerdings dagegen, dass in der Debatte um Militärhilfe für die Ukraine im Hintergrund die Frage möglicher Verhandlungen aufgeworfen werde. Vor dem Krieg gab es Verhandlungen, erinnert sich Major. „Wir müssen es weiter versuchen, aber Russland ist kein Land, das diesen Krieg durch Verhandlungen oder ein Portfolio von Schecks beenden will. Es geht um Macht, Gewalt und Ideologie. Das müssen wir anerkennen. Die Ukraine“, sagte er hat keine Wahl zwischen Krieg und Frieden. Es hat eine Wahl zwischen Krieg und Besatzung.“

“Wir werden keine Zugeständnisse machen”

Für Röttgen ist es nicht nur ein Sieg für die Ukraine. “Wir müssen den Krieg aus Europa verbieten”, sagte er. Das ist Oleksandra Bienert wichtig. Aber für die Wissenschaftlerin, die auch Artikel auf der Ukraine-Website veröffentlicht, geht es auch um ihr Land. Und er sagt, wie er sich den Sieg vorstellt: “Wir werden keine Zugeständnisse machen. Wir werden vom Westen zu den Waffen greifen, weil dies unser Existenzkampf ist, und wir werden ihn nicht aufgeben. In diesem Krieg geht es nicht nur um Ländereien.” , vergewaltigt oder entführt. Russland zerstört unsere Zukunft. “Aber die Ukraine bleibt innerhalb der Grenzen, die Russland 1991 und 1994 anerkannt hat und die bis 2014 gültig waren.”