Insbesondere das Nordirland-Protokoll sieht bislang spezielle Zollregeln vor, um die sensible Grenze zwischen der britischen Provinz und dem EU-Staat Irland offen zu halten. Das Abkommen führte jedoch de facto zu einer Zollgrenze in der Irischen See, die Nordirland vom Rest des Vereinigten Königreichs trennt. Das hat unter anderem zu Lieferschwierigkeiten und auch zu großem Unmut in Großbritannien geführt.

Viele Vereinfachungen wurden von London aus angestrebt

Das von London im Rahmen des Brexit akzeptierte Nordirland-Protokoll soll sich nun einseitig ändern. Unter anderem werden Warenkontrollen zum Schutz des EU-Binnenmarktes abgeschafft und durch eine freiwillige Regelung ersetzt. Zudem muss die Rolle des Europäischen Gerichtshofs drastisch reduziert werden. Auch bei der Umsatzsteuer will London mit anpacken. Nach Ansicht vieler Experten wäre dies ein klarer Verstoß gegen internationales Recht. Die Londoner Regierung bestreitet dies jedoch. Reuters / Clodagh Kilcoyne Die Grenze zwischen Irland und Nordirland ist wieder einmal ein Streitpunkt Dabei handele es sich um eine Reihe “relativ unbedeutender Änderungen”, sagte der britische Premierminister Boris Johnson am Montag vorab. Wenn die EU als Reaktion auf die britische Gesetzgebung einen Handelskrieg beginnen würde, wäre dies eine “große Überreaktion”, sagte Johnson. Trace sagte, die vorgeschlagene Gesetzgebung würde eine „angemessene, praktische Lösung für die Probleme in Nordirland“ bieten und nicht gegen internationales Recht verstoßen.

London will weitere Gespräche mit der EU

Gleichzeitig lud der Außenminister die EU an den Verhandlungstisch: “Wir sind weiterhin offen für Gespräche mit der EU.” Fortschritte können jedoch nur erzielt werden, wenn Brüssel Änderungen der Vereinbarungen akzeptiert. Die EU hatte praktische Vereinfachungen für Kontrollen vorgesehen, eine grundlegende Überarbeitung des Protokolls jedoch abgelehnt. Brüssel sieht in den einseitigen Änderungen des Textes einen Verstoß gegen das Völkerrecht. Reuters / Johanna Geron Britischer Außenminister Trash enthüllt Pläne, EU-Kommissionsvizepräsident Sefcovic kritisiert scharf Ähnlich deutlich war die Reaktion am Montagabend: Brüssel nimmt die Entscheidung der britischen Regierung “mit großer Sorge” zur Kenntnis, so Kommissionsvizepräsident Maros Sefkovic. „Unser Ziel wird es immer sein, die Umsetzung des Protokolls sicherzustellen. „Unsere Reaktion auf die einseitige Aktion des Vereinigten Königreichs wird dieses Ziel widerspiegeln und verhältnismäßig sein.“

Die EU schlägt Gegenmaßnahmen vor

„Als erster Schritt“ wird über die Fortsetzung des im März 2021 eingeleiteten Gerichtsverfahrens gegen die britische Regierung nachgedacht. “Einseitige Maßnahmen des Vereinigten Königreichs widersprechen diesem Geist direkt.” Reuters / Johanna Geron Der irische Außenminister Coveney kritisiert London scharf Der irische Premierminister Michael Martin nannte den Schritt einen „neuen Tiefpunkt“ und sagte, es sei „sehr bedauerlich für ein Land wie Großbritannien, ein internationales Abkommen zu verletzen“. Der irische Außenminister Simon Coveney hatte zuvor nach einem Telefongespräch mit Truss durch einen Sprecher gesagt, dass der in London ansässige Gesetzentwurf gegen internationales Recht verstoße und ein besonderer Tiefpunkt im britischen Brexit-Ansatz sei. „Weit davon entfernt, Probleme zu lösen, wird dieses Gesetz eine ganze Reihe neuer Unsicherheiten und Schäden schaffen.“

Auch die USA sind skeptisch

Zur historisch heiklen Lage in Nordirland und Irland äußerten sich auch die USA nach der Vorstellung der Pläne: Sie forderten Großbritannien und die EU auf, zu den Gesprächen zurückzukehren, wie ein Sprecher des Weißen Hauses am Montag mitteilte. „Die US-Priorität bleibt, die Errungenschaften des Belfaster Abkommens und des Karfreitagsabkommens zu schützen und Frieden, Stabilität und Wohlstand für die Menschen in Nordirland aufrechtzuerhalten“, sagte der Sprecher gegenüber Reuters. Zuletzt hatte das Thema an Brisanz gewonnen, als die Sinn-Fein-Partei erstmals stärkste Partei bei den Parlamentswahlen in Nordirland war. Sie verfolgt das Ziel der Abspaltung von Großbritannien und der Vereinigung mit Irland. Sinn Féin hat London schwere Vorwürfe gemacht: “Es ist rücksichtslos, es ist beschämend und es dient in keiner Weise den Interessen der Menschen hier”, sagte Michele O’Neill, Nordirlands Kandidat für Premierminister und Vizepräsident.

Kritik sogar aus Belfast

Der Wind für Johnson kam auch aus der nordirischen Hauptstadt Belfast. In einem von 52 der 90 Abgeordneten im nordirischen Regionalparlament unterzeichneten Schreiben heißt es, dass der Gesetzentwurf den ausdrücklichen Wünschen von Unternehmen und Menschen in Nordirland widerspreche. Jeffrey Donaldson, Vorsitzender der protestantischen United DUP-Partei, die aus Protest gegen das Protokoll die Bildung einer Einheitsregierung in Nordirland blockiert, findet lobende Worte. Was die Regierung in London präsentiert hat, ist eine Lösung, und genau die wird laut Donaldson jetzt gebraucht. DUP-Abgeordneter Sammy Wilson blickte am Vormittag noch nach vorne: Er sagte der BBC, wir müssten abwarten, welcher Text schließlich verabschiedet werde – der Gesetzentwurf müsse erst das britische Unterhaus passieren.

Im Parlament wird starker Gegenwind erwartet

Dort ist jedenfalls mit weiteren Diskussionen zu rechnen – wohl auch in den Reihen des zuletzt heftig kritisierten Premierministers Johnson. Die Financial Times zitierte ein internes Memo, das unter Johnsons Tory-Abgeordneten kursierte. Damit verstoßen die Pläne nicht nur gegen internationales Recht – die Entscheidung könnte vom Oberhaus, das sich aus Adel und Klerus zusammensetzt, noch lange hinausgezögert werden, werden Befürchtungen geäußert. Der Gesetzentwurf solle noch vor der Sommerpause im Unterhaus verabschiedet werden, schrieb der Guardian unter Berufung auf Regierungskreise.